„Es ist ein Junge!“

Hier erzählt Isabel von ihrer Hausgeburt:

Als mein Mann Mitte Oktober 2015 fragte, ob er mit einem Freund die Spätvorstellung von Marsianer besuchen könne, sah ich darin kein Problem. Bis zum errechneten Geburtstermin waren es noch zwei Wochen und ich hatte mir gerade ein Malbuch und neue Stifte gekauft, womit ich mir ein wenig die Wartezeit vertreiben wollte. Ich vertiefte mich in das filigrane Mandala und wunderte mich einige Stunden später nicht über das sanfte Ziehen im Unterbauch. Meine Schwangerschaftshose drückte unangenehm und ich hatte in einer ungünstigen Position für die Kugel gesessen. Als ich mich zu unserem Vierjährigen schlafen legte, kam mein Mann nach Hause. Jetzt wurde von zwei Seiten geschnarcht, während der Druck in meinem Uterus zunahm. 

Als ich aufstand, um zur Toilette zu gehen, lief warmes Fruchtwasser meine Schenkel hinab. Alles klar, Baby, also heute. Gute Reise und bis gleich! Ich duschte ausgiebig, suchte mein Outfit zusammen und entschied gegen drei Uhr, meinen Mann zu wecken. Der war nach knapp zwei Stunden Schlaf natürlich völlig neben der Spur, ließ sich aber nichts anmerken, bereitete alles für die Hausgeburt vor, beruhigte meine Aufregung und wanderte zur nächsten Tankstelle, um mir eine Cola zu besorgen. 

Er war sicher eine dreiviertel Stunde unterwegs, keine Ahnung, was ich in dieser Zeit gemacht habe. Daher nutze ich den Raum hier, um ein paar Worte zu meiner Hausgeburt loszuwerden. Ich rede heute nicht mehr oft darüber, die Gespräche unter Eltern ändern sich halt mit den Jahren. Häufig wurde mir gesagt, wie mutig ich doch gewesen sei, außerhalb eines Krankenhauses zu gebären. Aber diese Entscheidung habe ich nicht aus Mut getroffen. Sondern aus Angst. 

Ohne auch nur einen einzigen Kreißsaal besichtigt zu haben, fiel bei meinem ersten Sohn die Wahl aufs Geburtshaus. Hier wurde ich bereits in der Schwangerschaft gut betreut, baute ein Vertrauensverhältnis zu meinen Hebammen auf und kannte die Umgebung. Die vielen Geburtsberichte, die ich online las, bestätigten mich in meiner Entscheidung. Denn in den gängigen Mami-Foren liest man selten schöne Geburtsberichte, sondern meistens dramatische Erzählungen, die sich teils an der Grenze zwischen Leben und Tod bewegen. Was mitunter damit zusammenhängen mag, dass Frau* nach einer schönen Geburt weniger Bedürfnis hat, sich das Erlebte öffentlich von der Seele zu schreiben, um darüber in einen hoffentlich heilsamen Austausch zu gehen. Auch in Film und Fernsehen werden Geburten eher abschreckend inszeniert. Deswegen erzähle ich hier meine Geschichte. Denn gebären kann auch anders sein.

Nach der Geburt meines Ersten spezialisierte ich mich als Sportwissenschaftlerin auf die Begleitung von Müttern während und nach der Schwangerschaft. Und merkte schnell: da ist erheblich mehr Bedarf, als nur wieder in Shape zu kommen. Während Personal Trainings wurde ich oft mit belastenden Situationen aus dem Familienalltag meiner Klientinnen konfrontiert und ließ mich zur Ersthelferin in emotionalen Fragen weiterbilden. Vermehrt wurde ich mit den Folgen von verunsichernden, übergriffigen, unachtsamen, herablassenden, gewaltvollen oder gar lebensbedrohlichen Situationen konfrontiert. Die – sofern sie nicht liebevoll und sanft nachbereitet und integriert werden – mitunter erheblichen Schaden bei Eltern und Kind hinterlassen können. So soll ein Start ins Leben nicht sein müssen!

Meine Erfahrung im Geburtshaus empfand ich als kraftvoll und selbstbestimmt, auch wenn ich der Panik nahe war, weil ich nicht wusste, was mit mir geschah. Meine Hebammen und mein Mann begleiteten mich mit Ruhe und Geduld und traten mir einmal kräftig in den Arsch, als ich kurz vor Ziel aufgeben wollte. Das Einzige, was nervte: der Hin- und Rückweg. 

Beim zweiten Mal war ich froh, meine eigenen vier Wände nicht verlassen zu müssen. Mein erster Anruf nach dem positiven Testergebnis galt der Geburtshelferin, die Hausgeburten betreute. Die flächendeckende Versorgung durch Hebammen war damals schon nicht gesichert und seitens der Politik kein Wille erkennbar, das zu ändern.

Esther und ich hatten uns kurz nach der Geburt unserer Älteren angefreundet und ich beobachtete begeistert ihre ersten Schritte auf dem Weg zur Geburtsfotografin. An ihrer Arbeit fasziniert mich, wie sie es schafft, vollkommen rohe Momente kunstvoll einzufangen. Ihr Blick aufs Geschehen ist einzigartig. 

Ich fotografiere selbst und weiß: für diesen Job braucht man starke Nerven. Man muss absolut on point arbeiten. Die Situation lässt sich nicht nachstellen oder inszenieren, wenn man nicht zum richtigen Zeitpunkt auf den Ablöser drückt, ist dieser Moment unwiederbringlich verloren. Es wird dokumentiert, was ist. Sie musste mich nicht zwei Mal fragen, ob sie von mir bereits in der Frühschwangerschaft Fotos machen dürfe. Wir hatten gerade zusammen das Ankommen ihres jüngeren Babys zelebriert. Die beiden kamen vorbei und waren so entspannt, Esther so fokussiert auf ihre Arbeit, so in der Materie drin. Mir war klar: Sie muss bei der Geburt dabei sein.

Mein Mann hatte mich also mit Cola versorgt und mehrfach darauf gedrängt, die Hebamme anzurufen. Aber ich ließ nicht mit mir verhandeln und bestand darauf, zuerst Esther zu wecken. Eine Stunde nach dem Anruf war sie da, begrüßte mich behutsam und verschwand in einer Ecke des Raumes. Ich spürte ihre Präsenz, aber ich nahm ihre Person nicht wahr. Ich war damit beschäftigt, mich von meinem Baby im Bauch zu verabschieden, um es bald in meinen Armen begrüßen zu dürfen. 

Mein Sohn wurde wach, ich konnte seine Anwesenheit kaum ertragen und schickte meinen Mann mit ihm aus dem Zimmer. Ich wurde immer unruhiger, konnte mich dem überwältigen Krampfen und Schütteln meines Körpers nur noch wehrlos hingeben. Versuchte die kaum erträglichen Schmerzen im Kreuzbein durch Gegendruck im Türrahmen zu kompensieren. War einerseits vollkommen im Hier und Jetzt und andererseits nicht mehr auf dieser Welt. Ließ mich fallen und einfach geschehen.

Irgendwann willigte ich ein, die Hebamme zu kontaktieren. Mein Mann brachte den Großen bei einer Freundin in der Nachbarschaft unter. Ich weiß noch, wie ich vor unserem Bett hockte und innerlich erst um eine PDA und dann nach einem Kaiserschnitt bettelte. Als die Hebamme kam, war ich kaum noch in der Lage, mit ihr zu kommunizieren, so konzentriert war ich darauf, in meinem Körper und bei mir zu bleiben.

Es dauerte keine halbe Stunde mehr, bis ich mein Baby aufrecht hockend, zu Hause in meine eigenen Hände hinein geboren habe.

Es als Erste anfassen und in den Arm nehmen durfte. Vor unserem damaligen Bett. In seinem heutigen Kinderzimmer, wo er Eisenbahn spielt. Mein erster Satz danach war: “Es ist ein Junge”, denn wir kannten das Geschlecht vorher nicht. Der zweite lautete: “Ruf sofort den Brudi an!” Er war ganz verzaubert, sein Baby endlich kennen zu lernen, das kaum eine Stunde alt war.

Die Ablösung der Plazenta empfand ich als höchst unangenehm. Der Neugeborene war noch nicht abgenabelt, denn wir wollten ihm ein sanftes Ankommen ermöglichen. Die Nabelschnur durfte dann der große Bruder zusammen mit Papa durchtrennen. Ich ließ den drei Kerlen ihre Zeit und wollte mich waschen.

Meine Beine waren kaum in der Lage, mich zu tragen. War mein Bauch kurz vorher noch prall, gespannt und schwer, fehlte mir nun die Stabilität und Festigkeit. Ich kam mit der plötzlich veränderten Körperstatik kaum zurecht und hatte das Gefühl, auseinander zu fallen. Meine Hebamme führte mich liebevoll zur Dusche, den Weg hätte ich nur kriechend bewältigen können. Sie hingegen geleitete mich am Arm, wie eine Königin und zum ersten Mal in meinem Leben konnte ich so eine Geste auch aus vollem Herzen annehmen. Ich fühlte mich verletzbar, aufgeweicht und auf eine Art zerstört. Und gleichzeitig erhaben, unbesiegbar und so un.fass.bar stark!

Ich wünsche jeder werdenden Mutter, dass sie so ein Gefühl erleben darf. Egal, für welchen Geburtsort sie sich entscheidet. Dass sie an einem für sie sicheren Platz begleitet von liebevollen, achtsamen, einfühlsamen und professionellen Menschen ihr Baby in Frieden auf diese Welt bringen darf. Und egal, wie die Geburt war, Mama: Sie hat dich zur Kriegerin gemacht. Halt immer deinen Kopf oben. Denn du schaffst alles. Was immer auch kommt!

Epilog
Und weil ich nicht nur Deep Shit kann, sondern auch ein bisschen Humor: wie ich Jahre später erfuhr, hatte mein Mann während seines Kinobesuchs anscheinend erheblich zu viel Nachos mit Käsesauce und Jalapenos konsumiert. In dieser Nacht plagten ihn wohl die Bauchschmerzen seines Lebens. Er hat kein einziges Mal mit der Wimper gezuckt.

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