Rosalie

Als Geburtsfotografin genieße ich wirklich den Luxus, mich auf die Schönheit einer Geburt konzentrieren zu dürfen, die einzige Verantwortung die ich trage ist die, ausdrucksstarke Bilder zu machen.

Was aber wenn eine Geburt nicht so verläuft, wie es geplant war. Oder, wie bei der kleinen Rosalie, wenn ein krankes Baby zur Welt kommt.

Sabrina nahm schon sehr früh in der Schwangerschaft Kontakt mit mir auf. Ich war bereits bei der letzten Geburt dabei, und wenn man sich ein zweites Mal zur Geburt trifft, ist das Verhältnis schon sehr vertraut, auch wenn man ja tatsächlich bisher wenig Austausch hatte, doch man teilt diese einschneidenden Erlebnisse, das verbindet. Auch diesmal war eine Hausgeburt geplant, die Vorsorge verlief unauffällig.

Thomas rief mich am Abend des 23. März an, „Es geht los.“, einige Tage vor dem errechneten Termin, ich war gerade unterwegs und fuhr erstmal Nachhause. Das letzte Kind wurde in den frühen Morgenstunden geboren, also stellte ich mich auf eine lange Nacht ein. Zuhause habe ich dann nochmal gegessen, die Fahrt dauerte 2 Stunden.

Sabrina arbeitete sich durch ihre Geburt in ganz großer Ruhe und Zuversicht. Jede Wehe wurde mit einem kräftigen „AAAAUUUUUF“ oder „Kooommm, Baby“ besungen. Ansonsten war es ruhig im Haus, die Kinder schliefen oben, wir tranken unseren Kaffee und warteten.

Der Geburtspool war in der Küche aufgebaut, und wir saßen auf der Küchenbank, zwischenzeitlich nickte ich auch mal ein, so ruhig und stimmig war es.

Ihre Eltern waren als Unterstützung da, die Hebamme kontrollierte die Herztöne, Thomas unterstütze seine Frau.

Langsam brach der neue Tag an, und das kleine Baby war bereit geboren zu werden und die kleine Rosalie wurde im Wasser geboren.

Das ist der Moment, in dem sonst alle Anstrengungen abfallen, da füllt sich der Raum mit neuer Energie. Erleichterung und Neugier.

Doch ein Blick auf das Baby, und allen war klar, da stimmt doch was nicht.

Sabrina nahm ihre kleine Tochter auf die Brust. Rosalie kämpfte mit ihrer Atmung, und ihre Haut war merkwürdig auffällig. Ihr Körper war von einer dicken weißen Hautschicht überzogen, die sich wie wir später erfahren, Kollodiumhaut nennt. Kein weiches Neugeborenes, kein freudiges Erkunden des neuen Menschenkindes und auch nicht die ersehnte Erleichterung. Auf einmal standen nur noch Fragen und Angst im Raum. Was hat sie? Was kommt jetzt? Und eine unsägliche Traurigkeit, weil feststeht, dass hier jetzt kein ruhiges Bonding folgt.
Rosalie kämpfte, ihre Augen waren weit geöffnet, und man sah ihren Lebenseifer.

Der Notarzt wurde verständigt, die Küche füllte sich mit dem Rettungsdienst. Von dort wurde Rosalie in die Kinderklinik verlegt, schon bald stand die Diagnose Ichthyose fest.

Ihre ersten Tage verbrachte Rosalie nun im Inkubator, dort sollte sich die feste unbewegliche Haut möglichst verletzungsfrei und unter hoher Luftfeuchtigkeit lösen. Tag für Tag schälte sie sich nun aus dieser Schicht.

Sabrina schreibt:

 Rosalie musste im Inkubator bleiben aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit, zusätzlich wurde die Kleine alle zwei Stunden eingecremt. Nach drei Tagen durfte sie endlich mal zum Baden raus. Das wurde nun jeden Morgen ein schönes Ritual für uns. Durch das Baden löste sich die Haut noch besser ab, teilweise konnte man stündlich sehen wie die harte Membranhaut sich löste. Als ihr Mund frei war konnte sie endlich auch gestillt werden“ Den Umstieg von Flasche auf Brust hat Rosalie super hinbekommen. Nach zwei Wochen konnte sie endlich aus dem inkubator raus und wurde zum ersten Mal angezogen. Nach weiteren drei Tagen Beobachtung durfte sie endlich nach Hause.

in der Klinik

Die große Ungewissheit war die Frage, was sich unter der Kollodiumshaut befand. Die Geschichte geht sehr gut aus, Rosalies Haut im Gesicht, an den Armen und Beinen gleicht der anderer Neugeborener, lediglich am Körperstamm ist sie fester und bedarf einer besonderen Pflege.

Es war ausdrücklicher Wunsch der Eltern diese Geschichte zu teilen, und ich habe mir jetzt auch einiges an Zeit gelassen.
Dass diese Geburt in einer Verlegung enden würde, war sehr schnell klar, und so habe ich mich erst recht auf das Fotografieren der ersten Momente konzentriert, ich wusste die Fotos würden zu mehr als kostbaren Erinnerung werden.

Sabrina hat die Plazenta allein im Pool geboren, während sich die Hebamme das abgenabelte Kind nebendran anschaute. Ein besonders symbolträchtiges Bild, in dem eine verzweifelte, klagende Mutter das Organ, das sie bisher mit ihrem Kind verband in eine Schüssel gibt, die ich ihr mit einer Hand reiche, während ich mit der anderen diesen Moment festhielt.

Ich habe die Familie nochmal im Wochenbett besucht, als Rosalie dann wieder zuhause war. Das war ein guter Abschluss für uns alle.

Süße kleine Rosalie

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