Der Ursprung der Menschheit in Bildern
Anfang des Jahres hat mich Jana Schiener in Köln besucht und interviewt. Hier ist ihr Artikel über Geburtsfotografie, meine Arbeit und mich. Viel Spaß beim Lesen:
„Ich betrachte eine Farbkombination: lila, blau, schwarz, weiß. Diese Farben beschreiben etwas Organisches, einst mit Leben umgeben. Es ist rund, eine weiße, leblose Schlange windet sich aus dem Gebilde. Man erkennt Verästelungen, Blutgefäße – eklig und gleichzeitig faszinierend. Vor nicht allzu langer Zeit versorgte es ein Baby. Durch die weiße Schlange, die Nabelschnur, wurde es mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgt. Es fehlte an nichts, warm und behütet.
Ich betrachte das Bild einer Plazenta, eingerahmt steht es auf dem Regal eines Ateliers in Köln und wirkt irgendwie fehl am Platz. Die sonstige Einrichtung dieses Raumes erinnert eher an eine Nähwerkstatt. Eine Nähmaschine, zahlreiche Stoffe und eine Puppe fallen ins Auge.
In diesem Raum arbeitet Esther Mauersberger. Die Fotografie der Plazenta beschreibt treffend ihren Hauptberuf. Esther ist Geburtsfotografin. Ein Beruf, von dem die meisten erst einmal kein Bild haben und der Reaktionen von Unglauben bis Faszination hervorruft. Esther begleitet Geburten mit der Kamera von den Wehen, über die Geburt des Kindes bis zum ersten Stillen und der Erstuntersuchung. Dabei entstehen ehrliche, beeindruckende Bilder der ersten Stunden eines Neugeborenen.
Eine Plazenta sieht sie öfter, eventuell landet auch mal eine für kürzere Zeit in ihrem Kühlschrank und wartet auf das „Fotoshooting“.
Aufgrund des Berufs ihrer Eltern wuchs Esther in Ostafrika auf und kam erst im Alter von 17 Jahren wieder nach Deutschland. Die Faszination für Geburten begleitet sie seit dem Teenageralter. Trotz ihres Faibles für die Geburt und Frauen insbesondere geriet Esther – ihren eigenen Worten nach – auf Abwege. Ihr ursprünglicher Berufswunsch war Hebamme.
Nach dem Abitur machte sie jedoch eine Ausbildung zur Maßschneiderin, der ein Studium der Textil- und Bekleidungstechnik folgte. Heute hat sie in diesem Bereich ihr zweites Standbein. Die Begeisterung für Geburten ließ sie jedoch nicht los. So absolvierte sie während des Studiums eine Ausbildung zur Trage- und auch zur Stillberaterin.
2013, als ihre erste Tochter auf dem Weg war, hatte sie den Wunsch nach fotografischer Begleitung. Jedoch war zu diesem Zeitpunkt die Geburtsfotografie noch nicht von Australien oder den USA nach Deutschland geschwappt. Nach der Geburt ihrer Tochter kam ihr der Gedanke über Nacht: „Warum mach ich’s nicht selbst?“ und so folgte Learning by Doing. Heute ist Esther eine professionelle Geburtsfotografin.
Ich treffe Esther in ihrem Atelier und brenne vor Fragen, da auch ich, bevor ich durch Instagram auf sie aufmerksam wurde, noch nie etwas von Geburtsfotografie gehört hatte. Ich lerne Esther als sympathische Frau kennen, die gern und offen mit mir über ihren Beruf, ihren Werdegang und Erfahrungen spricht. Sie wirkt gelassen, in Körperhaltung und der Art wie sie redet, ruhig mit einer warmen Stimme.
Gelassenheit – eine Eigenschaft, die eine Geburtsfotografin auf jeden Fall mitbringen sollte. Während einer Geburt muss sie ruhig bleiben. Es darf keine Hektik entstehen. Bei einer warmen, unterstützenden Geste zwischen den gerade werdenden Eltern kann man „nicht einfach hin und draufhalten“. Man versucht, keinen Moment zu verpassen und gleichzeitig muss man Augenblicke verstreichen lassen können. Esther erwähnt oft das Aushalten. Man muss eine Frau in starken Wehen ertragen können. Verzweiflung und Angst „muss man aushalten können“.
Wenn das langersehntes Kind begrüßt wird, geht das immer mit krassen Emotionen einher. Die Belohnung des Aushaltens ist schließlich ein High nach jeder Geburt. Esther vergleicht dies mit einem Marathon.
Vor diesem High steht der erste Mailkontakt mit einer werdenden Mutter, das erste Telefonat und ein Kennenlernen zuhause. Es werden Fragen geklärt wie: Welche Art von Geburt steht an? Welche Vorstellungen gibt es? Wie waren vorangegangene Geburten? Nur etwa 30 % von Esthers Kunden sind Erstgebärende. Nach diesem Kennenlernen folgt in der Regel der Auftrag. Telefonisch und per WhatsApp hält Esther über den Zeitraum der Schwangerschaft Kontakt mit den Eltern, bis schließlich der Anruf kommt: Das Kind ist unterwegs.
So trat auch Annette Mathar mit Esther in Kontakt. Sie ist zweifache Mutter und hat ihre zweite Geburt fotografisch begleiten lassen. Ihre erste Geburt beschreibt sie selbst als kein schönes Erlebnis, einhergehend mit keinem guten Körpergefühl. Erst auf ihrem Weg zur Selbstliebe und durch ihre zweite Schwangerschaft erkennt sie einen schönen Prozess. Es entsteht eine Neugierde. Was genau passiert während der Geburt? Aus diesem Grund entscheidet sie sich für eine fotografische Begleitung.
Annette beschreibt Esther als: „super angenehme Person, mit der man Spaß haben kann und sich wohlfühlt.“ Annettes Bauchgefühl passt. Die „Schmierpaste“ ist da. Die Geburt ihres zweiten Kindes lief dann jedoch nicht wie geplant. Zwei Wochen nach dem eigentlichen Geburtstermin musste die Geburt eingeleitet werden. Schließlich kam es zum Kaiserschnitt. Esther wurde trotz der veränderten Situation engmaschig kontaktiert, es war Annette „extrem wichtig, Esther dabei zu haben“. Der Kaiserschnitt verlief ohne Probleme.
Annette ist Esther dankbar, denn sie konnte ihr zeigen, was hinter dem Vorhang ablief: Der Moment als das Köpfchen kommt, die ersten Gesichtszüge. Die Bilder schenken Annette den Teil, den sie nicht erlebt hat. Sie „schließen den Kreis“.
Esther war während des gesamten Kaiserschnitts anwesend. Sie war „total präsent, aber nicht spürbar“, so Annette. Sie sagt, Esther hat „Genialität für den Moment“. Sie nimmt Augenblicke auf, die ohne bildliche Dokumentation in Vergessenheit geraten könnten. Diesen „Schatz kann man nicht bewerten“.
Auch Elisabeth Wellmann nahm Esther während der Hausgeburt ihrer Tochter nicht wahr. Sie hatte sogar Angst: „Macht Esther überhaupt Fotos?“ Ja, auch bei Elisabeths Geburt wurde der Moment aufgenommen, als ihr Kind Teil dieser Welt wurde.
Das Kennenlernen zwischen Esther und Elisabeth war „wie eine Freundin zu treffen: man merkt, sie hat Erfahrung und weiß, wovon sie spricht.“ Elisabeth erzählt begeistert, dass sie ganz offen mit ihr reden konnte.
Der Preis einer Geburtsreportage liegt bei über 1.000 € kann sogar an die 2.000 € gehen. Ein Preis, der abschreckend wirkt. Rechnet man jedoch alle Nebenkosten sowie die Rufbereitschaft vor der Geburt mit ein, ist der Preis fair gestaltet, erklärt mir Danny Merz. Sie ist ebenfalls Geburtsfotografin und Gründerin der deutschsprachigen Geburtsfotografengemeinschaft.
Auch Esther ist Mitglied dieser Gemeinschaft, die derzeit 19 Geburtsfotograf*innen in Deutschland, drei in der Schweiz und eine in Österreich listet. Ihr Ziel ist eine Vernetzung der professionellen Geburtsfotograf*innen im deutschsprachigen Raum und einen Überblick zu bieten, um so eine Hilfe für Eltern zu sein, die ihre Geburt fotografisch begleiten lassen möchten.
Geburtsfotografie ist eine Art der Dokumentarfotografie, die noch keine allzu große allgemeine Aufmerksamkeit erfahren hat, obwohl die Zahl der Geburtsfotograf*innen seit Jahren zunimmt und sich ein Wachstum abzeichnet, so Danny Merz. Eigenschaften, die Geburtsfotograf*innen auszeichnen, sind Gelassenheit, Vertrauen in die Geburt, Geduld, Einfühlungsvermögen, Zuverlässigkeit und Angstfreiheit. So glaubt Esther, dass „es läuft, wie es sich die Frau wünscht“ und bringt eine positive Ausstrahlung mit zur Geburt.
Esther beschreibt, dass das Einzigartige, das Besondere der Geburtsfotografie der ungewisse Zeitpunkt ist. Ganz im Gegensatz zu einer Hochzeit, bei der ein genauer Zeitplan existiert. Sie sagt: „Geburt ist die Grundfeste der Menschheit. Geburt ist animalisch, roh.“ Eine Frau in der Geburtsphase ist „in ihrem eigenen Film“. Esther hat das Gefühl „am Ursprung der Menschheit zu sein“ und irgendwie ist sie das, sie ist am Ursprung eines Menschenlebens.„